Erinnert ihr euch an die kleine Raupe? Die Raupe, die ihrer Freundin geholfen hat, das Leben zu lieben?
Sie wachte auf. Die glitzernden, in allen Farben schillernden Flügel der Freundin, die sie warm hielten und ihr so viel versprachen- sie waren weg.
Verdutzt blickte sich die Raupe um. Das konnte doch nicht... nein. Nein. NEIN.
Es war ein Traum. Keine Wirklichkeit. Wunschdenken.
Ja, sie hatte sich tatsächlich gewünscht, dass sie der hässlichen Raupe Freundschaft näher gebracht hatte. Ihr gezeigt hatte, wie schön das ist, wie wichtig das ist, wie hilfreich das ist, wie besonders das ist.
In einem Gespräch hatte die kleine Raupe der traurigen Raupe erzählt, dass die Traurigkeit, die Einsamkeit, die Unfähigkeit, das Leben schön zu finden - alles alles ALLES unwichtig ist wenn ein Freund im Hintergrund steht, der immer da ist. Die kleine Raupe hat die Freundin mit einem Juwel verglichen: Einzigartig, wunderschön, Rot. Ja, der Juwel war rot, denn rot ist eine wunderschöne, tiefe, harmonische ins Herz gehende Farbe. Nun ist die Freundin ein roter Schmetterling geworden- Rot - in alle Farbvariationen übergehend.
Da blitzte am Himmel plötzlich ein durchdringender roter Schein auf.... ob das... JA sie war es: Die Freundin flog mit eleganten Bewegungen um sie herum, lächelte, winkte ihr kurz zu, rief ein "Ich hab dich lieeeeeb" in ihre Richtung und verschwand mit fröhlich schwingenden Flügeln wieder am weiten Horizont. Die kleine Raupe wartet hoffnungsvoll- sie würde zurückkommen. Sie würde mit ihr warten, bis sie ein ebenso schöner- vielleicht blauer- Schmetterling werden würde.
So verging der Tag, ohne dass noch einmal der Himmel mit roten Blitzen durchzogen wurde. Auch in der Nacht schlief die Raupe nicht, denn sie wollte die Ankunft der Freundin nicht verpassen.
Am nächsten Tag war der Blick der kleinen Raupe bereits verschwommen. Immer wieder dachte sie, die Freundin zu sehen, aber immer wieder war es etwas anderes. Ein rotes Herbstblatt, ein Schimmer der Sonne, eine rote ... Ja, eine rote Tüte? Mitten im Wald... das mag die kleine Raupe nicht. Aber nicht einmal sah sie die wunderschönen Flügel der Freundin.
Am Abend, als sich die Sonne bereits hinter dem Horizont schlafen gelegt hatte, glaubte die kleine Raupe, es verstanden zu haben: Sie war selber Schuld. Hatte sie nicht selber erzählt, wie schön die Welt war? Hatte sie nicht selber erzählt, dass die traurige Raupe nicht für andere sondern nur für sich selber da sein sollte? Hatte sie nicht selber erzählt, dass sie immer da sein würde für die traurige Raupe, auch weit weit im Hintergrund? Hatte sie nicht dem wunderschönen Schmetterling selber den Ratschlag gegeben, frei zu sein und egoistisch zu denken? Immer im Hintergrund die kleine Raupe, die ihr Herz offen hat für die Freundin?
Das mit der Freundschaft ging unter. Zu sehr. Da hat die kleine Raupe wohl einen großen Fehler begangen. Nicht zum ersten Mal, und wohl auch nicht zum letzten Mal.
Traurig weinte die kleine Raupe sich in den so dringend benötigten Schlaf. Träne um Träne lief an ihrem hässlichen Körper herunter, Träne um Träne wurde zu einem hauchdünnen Seidenfaden. Während die kleine Raupe sich immer weiter in ihr einsames Schicksal verwebte, verschwand sie in einer braunen, festen, unansehnlichen Hülle. Die Tränen liefen weiter aber die kleine Raupe bemerkte es nicht mehr. Sie schlief... und träumte den Traum der letzten Geschichte weiter.
Das Ende wird gut. Und weil es nicht gut ist, war es noch nicht das Ende.
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