Montag, 23. Juni 2014

Hände

Das Gesicht ist mit der empfindlichste Teil des Körpers. Es anzufassen bedeutet eine Intimität, die nur nahen Menschen zusteht.
Sie schützte ihr Gesicht vor allen Menschen, die ungefragt und ungewollt mit den Händen zu nahe kamen. Leider haben mittlerweile viele Menschen keine Hemmungen mehr, die persönliche Blase zu sprengen und ohne mit der Wimper zu zucken die Grenzen zu überschreiten. Niemand fasste ihr Gesicht an!
Was sie mag, sind seine Hände. Wie sie über die Wangen streicheln, die Augen entlangfahren, die Nase stupsen. Sie liebt es, wenn seine Hände ihre Ohren bedecken, die Daumen zur Stirn fahren und die Finger in ihrem Mund verschwinden. Die Wärme seiner Hände legt sich wie eine weiche Decke über sie.
Wenn sie ihr Gesicht in seine Hände legt, dann fühlt sie sich beschützt. Wenn seine Finger über ihren Mund streicheln, ist keine Bedrohung da, nur schöne Gefühle. Ängste werden vergessen, selbst die Zeit scheint stillzustehen, wenn sie sich mit geschlossenen Augen dem zärtlichen Streicheln hingeben kann.
Seine Hände in ihren Haaren bedeuten pure Lust, Hingebung. Auch wenn sie ihren Körper nicht mag, gerne versteckt- seine Hände dürfen ihn erkunden. Sie streicheln die Beine entlang, erkunden ihren Bauch mit allen Unebenheiten und massieren ihre Schultern. Sie streichen den Rücken entlang und liebkosen sie an jeder Stelle. Jede Berührung bedeutet ihr das, was sie nie bekommen kann: Gelebte Gefühle, vertraute Nähe, Intimität. Ein Traum, der für kurze Zeit Wirklichkeit wird.

Sie küssen ihren Körper. Ihr Gesicht. Ihr Ego. Ihre Seele.

Dienstag, 17. Juni 2014

Topf ohne Deckel

"Auf jeden Topf passt ein Deckel!" "Gut, dann bin ich eben ein WOK!"
Ich liebe diesen Satz aus dem Radio.  Jedesmal wenn ich ihn höre, stimme ich ihm zu.
Nein, es ist bei weitem nicht so, dass ich mich einsam fühle- aber einen Deckel habe ich nicht. Nagut, ich habe auch ehrlich gesagt nicht viele ausprobiert- es wurde mir stets zu heiß darunter- aber hin und wieder hatte ich doch das Gefühl, es passt.
Meist waren die Deckel dann zu eng. Luftundurchlässig schmorte ich in meinem eigenen Saft und verdunstete. Leider nicht körperlich, sonst hätte es sich ja sogar gelohnt...
Nun ist mir der Deckel zu weit. Wie dumm. Über Wochen habe ich am Deckel gehämmert, habe die schönsten Gerichte gekocht, damit die Düfte eingefangen werden konnten, aber sie wichen am Deckel vorbei. Wie ärgerlich.
Nun gut, ich dachte mir, dass vielleicht auch das bisschen Duft, das hängenbleibt, ausreichen könnte. Habe also mehr, intensiver, schärfer gekocht - keine Chance. Dabei ist das mit Abstand der schönste und beste Deckel, den ich seit langem hatte. Ihn festzubinden wäre eine Überlegung, aber sicher keine gute- und Gut möchte ich sein.
Also WOK bleiben- ungewollt aber wissend, dass man zumindest niemanden zwingt, mich zu behüten.

Sonntag, 15. Juni 2014

Der Kuss

Zum Abschied wenigstens wollte Sie einen Kuss. Als Zeichen dafür, dass es nicht das ist, was sie immer dachte: Warmgehalten werden für Begierden, warmgehalten werden für langweilige Dienststunden. Über Schatten springen konnte sie, hatte sie auch bereits bewiesen. Aber kommt etwas zurück?
Beim letzten Treffen hatte er es "vergessen". Bezeichnend. So etwas vergisst man nicht. Sie hatte es hingenommen und gehofft, dass ihr Kampf und ihr Bemühen angenommen werden. Gesehen werden.
Ein weiteres Treffen fand statt. Der Abschied kam überraschend schnell. Sie hatte nicht geahnt, dass es so wird. Sie hatte nicht geahnt, dass der Abschied sich anfühlte, als wäre man froh, dass die Zeit vorbei ist. Sie hatte nicht geahnt, sich so zu fühlen nach den schönen Tagen. Eine kurze Umarmung, ein "Schön, dass du da warst" und sie war entlassen. Entlassen in ihre wirkliche Welt. Kein Kuss.
Die geschriebenen Nachrichten klangen stets liebevoll. Die Wirklichkeit war grau.
Hatte sie geträumt, dass heute morgen, als man zusammen im Bett lag und spielte, ein leichter Kuss ihre Schultern streifte? Sie verlor sich in Gedanken und träumte von der Erfüllung ihrer wenigen Erwartungen. Diese Gedanken waren immer sehr schön- ein "Ich denke an Dich" folgte an dieser Stelle oft an ihn. Ob er weiß, dass sie nicht an ihn, sondern an ihre Wünsche dachte? Sicher nicht, er war viel zu oft mit sich selber beschäftigt. Ein toller Mensch - ohne Frage. Sie jedoch war nicht gut genug.
Sie legte sich ins Bett und träumte. Träumte und lächelte während sie einschlief und den Kuss an der Schulter immer und immer wieder spüren durfte.

Dienstag, 3. Juni 2014

Eine verbotene Liebe

"Auf einmal stehst du da, schaust dir deine Beute an,
Deine Blicke sagen mir "ich will dich mit Haut und Haar'n",
DU hast diesen Hunger, DU willst mich verschleppen,
In deine Höhle um mich häppchenweise aufzufressen."

So sehr hatte ich mich gefreut dich kennen zu lernen. Die Erzählungen und die gemeinsamen Google-Maps Abende haben mich neugierig gemacht. Mich, die ich nur ungern über meinen Tellerrand schaue und aus dem immergrünen Bonn mit allen Macken, Ecken und Kanten nicht loskomme.
Natürlich habe ich mich bestätigt gefühlt, dass es bei dir regnet, wenn ich doch bei strahlendem Sonnenschein in Bonn in den vermeindlich sonnigen Süden fahre. Ich wollte dich nicht mögen.
Nach einigen schönen Stunden mit einer Freundin habe ich dich am Abend vorsichtig erkundet. Die Straße, an der mein Hotel liegt, bietet unzählige Imbisse und ebenso vielfältige Menschen. Der Regen hat aufgehört, als würde mich die Stadt in ihren Bann ziehen wollen. Mich? Never!
Vorsichtig bewege ich mich durch die Menschen, als würde ich dazugehören. Stetiges Gemurmel über die immergleichen Probleme lassen mich tatsächlich schnell fühlen, als wäre ich schon ewig hier. Die Autos, die Häuser, die Straßenbahn, alles so wie in Bonn. Große, zum Teil schlecht gepflegte Kasernenbauten aus den 50iger Jahren neben wunderschönen - ja, wie heisst das hier? In Bonn würde man Südstadtvillen sagen. Gründerzeithäuser?
Kleine, versteckte Kaffeehäuser, vor denen alte Männer und Frauen erzählenderweise den Sonntag beenden.
Und... BIERGÄRTEN. Davon kann ich nicht genug bekommen. Durch eine Wohnsiedlung hindurch führt mich der Weg in einen mit Hecken umzäunten wunderschönen Biergarten mitten im Trubel der Großstadt. Ein Radler, ein Wurstsalat- und ich fühle mich so heimisch. Am Nebentisch wird über Barsch, Rauchen und die Baustellen in der Stadt geredet. Ich höre fasziniert zu. Da man dies anscheinend bemerkt hat, werde ich nach jeder wichtigen Aussage mit Blicken bedacht und erst wieder losgelassen, wenn ich den Satz mit abnicke.
Zufrieden gehe ich nach dem Essen ins Hotel und ärgere mich schon gar nicht mehr über den schlechten Netzempfang. Die Baustellen- die sind mir bereits auf der Hinfahrt aufgefallen, aber erst am nächsten Tag erfahre ich, dass hier eine U-Bahn gebaut wird und so die Stadt in Gänze eine große Baustelle ist. Hach, wie schön, wie in Bonn! Nagut, wir haben schon eine U-Bahn- aber lass dir gesagt sein, du schöne Stadt, wenn die U-Bahn fertig ist, wird es neue Gründe für Baustellen geben. Schöne Städte, liebenswerte Städte, brauchen Baustellen.
Du zeigst mir deine Stadt, gehst mit mir auf den Turmberg und erklärst mir die Schönheit von oben. Ruhige Worte, fesselnde Worte und immer starke Arme und ein Körper wie eine Mauer, der mich vor dem Wind schützt. Ich fühle mich wohl. Wie sollte es auch anders sein, war ich doch schon wieder in einem Biergarten, habe mich durch deine Baustellen gewühlt und festgestellt, dass rote Ampeln nur empfehlen, stehen zu bleiben- nicht das weiterfahren verbieten. Wie hast du mir gesagt? "Eine grüne Ampel bietet lediglich eine legale Möglichkeit, die Kreuzung zu überqueren, es bedeutet nicht, dass es sicher ist." So- oder so ähnlich war es. Die rote Ampel bedeutet dann wohl die illegale Möglichkeit mit der gleichen Option auf Sicherheit.
Der Blick vom Turmberg könnte auf das Siebengebirge fallen- so ähnlich wirkt es. Was fehlt, ist der Rhein.
Ich lerne ein paar Sehenswürdigkeiten kennen. Vom Auto aus. Schade, aber die Zeit reicht nicht. Ich schaue Aquarien an und verliebe mich aufs Neue in die faszinierende Welt der Aquaristik. Auf einer sich bewegenden Platte lerne ich, wie sich ein Erdbeben anfühlt und beobachte, wie sich Strömungen verändern, wenn man Gegenstände ins Wasser lässt, das Wasser staut oder ungleich hinzu fließen lässt.
Ich lerne, dass ich mich wohl fühle und gehalten werde. Ich weiß, dass ich noch so viel sehen möchte - und auch werde. Vielleicht treffe ich den Mann, der mich nach dem Frühstück mit seinem alkoholgeschwängerten Geprolle erheitert hat. Wie zu Hause. Nicht die Stadt war der Grund, hierherzukommen. Du warst es. Die Stadt wird ein Grund sein, wiederzukommen. Bonn hat eine Zwillingsschwester.
Nun tut mein Körper weh. Mein Rücken, mein Kopf, meine Seele. Ich sitze zu Hause und denke zurück, wohl wissend, etwas verloren zu haben. Wohl wissend, etwas gewonnen zu haben. Traurig denke ich an die wunderschönen Stunden zurück ohne zu wissen, was echt war. Ohne zu wissen.
Das bisschen Glück habe ich verdient. Mit diesem Wissen lasse ich los und schließe ab. Traurigkeit überkommt mich wie eine Welle ohne entrinnen.

"Du bist so gierig, ich glaub, ich verlier mich,
Probier nicht mehr zu entkomm'.
Beiß mich, verschling mich, zerreiß mich,
Ich weiß, ich hab keine Chance."